Bericht über das Sommerseminar in Bonn 2016 zum Thema Gleichheit

Obwohl der Begriff der Gleichheit in den historischen Grundlagentexten der Freimaurerei gar nicht ausdrücklich auftaucht, zählt die Gleichheit, neben Freiheit, Brüderlichkeit, Humanität und Toleranz, zu den Grundidealen der Freimaurerei. Dabei ist es in der Gesellschaft wie auch in der Freimaurerei bis heute durchaus umstritten, wie eng der Begriff der Gleichheit auszulegen ist und welche Konsequenzen das Bekenntnis zur Gleichheit haben soll. Unbestritten ist, dass die Gleichheit ein Wert ist, der sich in vielen europäischen Verfassungskatalogen und auch auf der Ebene der Europäischen Union findet, z.B. als Rechtsgleichheit, in Gleichbehandlungsgrundsätzen und in Antidiskriminierungsgesetzen. Ebenso wahr ist aber auch, dass die gesellschaftliche Realität durch (stetig wachsende) soziale Ungleichheit geprägt ist, was von den einen als Gefahr für den inneren gesellschaftlichen Zusammenhalt empfunden wird und von den anderen als notwendige Bedingung für eine effizient funktionierende Leistungsgesellschaft identifiziert wird. Ob und inwieweit Gleichheit als Norm für eine Gesellschaft gelten soll, dürfte die entscheidende Frage gewesen sein, die im Hintergrund der Entscheidung der britischen Mehrheit für den Brexit stand, wenn die europäische Freizügigkeit für den britischen Arbeitskräftemarkt als Bedrohung empfunden wurde. Selbst in der Diskussion um die internationalen Handelabkommen wie TTIP und CETA spielt der Begriff der Gleichheit eine Rolle, geht es in ihnen doch im Kern darum, für alle von dem Abkommen betroffenen Marktteilnehmer gleiche (Handels-)Bedingungen zu schaffen. Auch im Kontext der als Krise empfundenen Migrationsströme spielt der Gleichheitsbegriff eine Rolle, wenn gefragt wird, ob Migranten (seien dies Asylsuchende oder so genannte Wirtschaftsflüchtlinge) mit gleichen Rechten an den Segnungen des Sozialstaats partizipieren dürfen oder nicht. Wie alle Grundnormen einer Gesellschaft gilt auch die Gleichheit nicht absolut. Dort wie sie in Konflikt mit anderen Normen gerät, muss rechtlich (und politisch) abgewogen werden, welche der Normen im konkreten Kontext die höherrangige ist und inwieweit der unterlegenen Norm noch angemessen Rechnung getragen werden kann.

Die sich institutionalisierende Freimaurerei des 18. Jahrhunderts stand sicherlich unter dem Einfluss der zeitgenössischen philosophischen, politischen und gesellschaftlichen Diskussion, die vor allem vom aufstrebenden Bürgertum getragen wurde und die zunehmend auf Beteiligung an den politischen Prozessen drängte. Und ein mächtiger Kampfbegriff, zur Durchsetzung dieses bürgerlichen Anspruchs war die Gleichheit.

Das freimaurerische Bildungswerk Akademie forum masonicum, das 1979 von Freimaurern als gemeinnütziger Verein mit dem Ziel gegründet, sich in öffentlichen Veranstaltungen mit Probleme der Menschen und Gesellschaft unserer Zeit auseinanderzusetzen, aber auch die Hintergründe freimaurerischer Grundbegriffe aufzuklären, thematisierte im diesjährigen Akademieseminar in Bonn unter der Überschrift „On the level. Ideal und Wirklichkeit des freimaurerischen Leitbegriffs der Gleichheit“ den Begriff der Gleichheit. Die zwei Vorträge näherten sich sehr unterschiedlich dem Thema an. Der erste Vortrag des Philosophen und Freimaurers Dieter Ney rekapitulierte wesentliche Stationen der philosophischen Auseinandersetzung mit dem Begriff der Gleichheit, der zweite Vortrag des Historikers und Nicht-Freimaurers Professor Dr. Dieter Binder fokusierte den Begriff der Gleichheit im Kontext der Freimaurerei.

Dass die Menschen gleich sind, ist angesichts ihrer offensichtlichen Ungleichheit eine Forderung, die argumentativ erst plausibilisiert werden muss, lautete der Einstieg in den kulturgeschichtlichen Rückblick im Vortrag von Dieter Ney. Während die Sophisten des fünften Jahrhunderts v.Chr. die Gleichheit der Menschen aus ihrem gemeinsamen Wesen naturrechtlich ableiteten, differenzierte sich das Bild schon bei Platon und Aristoteles dahingehend, dass Gleiches zwar gleich, Ungleiches aber auch ungleich behandelt werden muss, so dass neben den Gleichheitsgrundsatz das Prinzip der Angemessenheit trat: Ein Mensch mit hohen Verdiensten sollte im Hinblick auf politische Ämter natürlich nicht jedem anderen gleich gestellt werden. Im Christentum konnte man sich in der Diskussion um die Freiheit auf einige wenige Stellen des Neuen Testaments berufen, die von der Gleichheit der Christen vor Gott sprechen, gleichwohl hatten nur christliche Minderheiten (v.a. die franziskanischen Orden) daraus einen sozialpolitischen Anspruch abgeleitet. Zumeist aber trat die Gleichheit zugunsten eines Konzeptes einer gottgewollten Sozialordnung zurück, die in Analogie zur streng hierarchischen Schöpfungsordnung gedacht wurde. Erst in der Neuzeit, in der das Bürgertum durch die neue Schicht der im souveränen Territorialstaat notwendigen gewordenen Verwaltungseliten erweitert wurde und mit neuem Selbstbewusstsein gesellschaftlich auftrat, wurden von Philosophen wie John Locke und Thomas Hobbes ein neuer Typ von Argumentation entwickelt, um Gleichheit zu begründen: da der Mensch dem anderen Menschen zur Bedrohung werden kann, zugleich aber nach Selbsterhaltung strebt, denkt man sich die gesellschaftliche Ordnung als auf einen fiktiven Vertrag zurückführbar, den prinzipiell gleichberechtigte Partner zur Sicherung ihrer Selbsterhaltung schließen und sich darin Rechtsgleichheit zusichern. Die faktisch sichtbare gesellschaftliche Ungleichheit wurde erklärt durch eine Unterscheidung von status naturalis (dem Naturzustand, unter dem der fiktive Vertragsschluss stattfinden sollte) und dem status civilis, der auch das Freiheitsrecht des Privateigentums zu berücksichtigen hatte und die Gleichheit relativierte, sozialpolitisch aber verlor dieser Gleichheitsbegriff dadurch an Schlagkraft. Eine solche erlangte er aber, als Rousseau später den Blick abwandte von einer fiktiven Vertragssituation zwischen Partnern hin zu einem Gesellschaftsvertrag, dem es weniger um Selbsterhaltung als um das Gemeinwohl ging. Was die philosophischen Gleichheitskonzepte betraf, schien im 18. Jahrhundert die Diskussion weitestgehend abgeschlossen, ab dort waren es vor allem gesellschaftliche Wandelprozesse, v.a. die Entwicklung zur arbeitsteiligen Industriegesellschaft, die Einfluss auf das Verständnis von Gleichheit hatten.

Für die Gründungszeit der institutionellen Freimaurerei im 18. Jahrhundert wurden vor allem diese  neuzeitlichen Gleichheitskonzepte relevant. Unter Verweis auf die Gleichheit stellte das Bürgertum Ansprüche auf die Beteiligung an politischen Prozessen; was das Bürgertum aber nicht davon abhielt, sich gegenüber niederen sozialen Schichten – entgegen der Forderung nach Gleichheit – weiterhin abzugrenzen. Diese Gleichzeitigkeit von Gleichheitsforderung einerseits und Abgrenzung andererseits ist auch in der Freimaurerei sichtbar. Unter Verweis auf den Begriff der Brüderlichkeit wird Gleichheit nur innerhalb der eigenen Gruppe durchgesetzt, nicht aber gegenüber Außenstehenden. Einen universalen sozialpolitischen, ja kämpferischen Gleichheitsbegriff gab es zu dieser Zeit nicht; wenn wir ihn heute mit der Freimaurerei assoziieren, dann verdankt sich diese Nähe eher den späteren Entwicklungen im Nachgang der französischen Revolution und gilt innerhalb der Freimaurerei, für die der Begriff der Brüderlichkeit bestimmender ist, auch nicht universell.

Auch Dieter Binder stellte zunächst fest, dass der Begriff Gleichheit in den Gründungsdokumenten der Freimaurerei nicht auftaucht. Zur Bezeichnung des sozialen Verhältnisses im Binnenraum der Loge wird aber der Begriff der Brüderlichkeit verwendet. Anhand der Verwendung dieses Begriffes in den „Alten Pflichten“ verdeutlichte Binder die Spannung zwischen dem Selbstanspruch der Gleichheit unter Brüdern einerseits und Praktiken sozialer Distinktion in den Logen. Als ersten „Sündenfall“ in Bezug auf die Gleichheit aller Brüder bezeichnet er die Voraussetzungen, die der Kandidat für die Position des Großmeisters zu erfüllen hat, denn diesbezüglich heißt es in den „Alten Pflichten“, dass dieser von edler Herkunft zu sein habe, eine Voraussetzung, die über die allgemeine Voraussetzung zur Zulassung in die Freimaurerei – nämlich freier Mann von gutem Ruf zu sein – weit hinaus geht. Außerdem errichtet die Freimaurerei, auch dies findet sich schon in den „Alten Pflichten“, eine Binnenhierarchie in den Logen durch die Einsetzung von Logenbeamten. Grenzt sich die zutiefst bürgerlich geprägte Freimaurerei einerseits gegenüber der Umwelt allgemein ab, so integriert sie dennoch soziale Praktiken der Aristokratie. Spezifisch aristokratische Kennzeichen wie die edle Abstammung, das weitverzweigte Familiennetz oder höfische Umgangsformen werden in einem Prozess der Selbstaristokratisierung in der Loge imitiert. Dem dient auch die fiktive Entstehungsgeschichte der Freimaurerei in den „Alten Pflichten“, in der die Freimaurerei in den Kontext der Weltgeschichte und ihrer Herrscher gesetzt wird, der ihr eigentlich – als bürgerliche Bewegung – völlig fremd ist. Im Sinne einer Selbstaristokratisierung kann die Abwendung von der Bautradition und die Hinwendung zu ritterlichen Erzählungen in den Hochgradsystemen verstanden werden, nämlich als Annäherung an einen dem Bürgerlichen eigentlich fremden Erfahrungsraum einer herrscherlichen Elite, ein Versuch, das eigene elitäre Sondergefühl zurückzuführen auf eine (fiktive) historische Sonderstellung. Dieser Selbsterhebung kontrastiert die teils scharfe Abgrenzung gegenüber anderen sozialen Gruppen wie den Arbeitern, gegenüber Fremden und Angehörigen anderer Religionen. Die Logen sind letztlich auch Abbild der Gesellschaft, einschließlich ihrer Tendenz zur Ausschließung einzelner sozialer Gruppen. Der Umgang eines Teils der deutschen Freimaurerei mit der Frage um die Aufnahme von Juden führt direkt zur Konstruktion einer Unterscheidung zwischen humanitärer und christlicher Freimaurerei, wobei die Einführung der Christlichkeit in letzterer bewusst als Abgrenzungsinstrument gegenüber den Juden eingesetzt wurde. Auch die zunehmende Akademisierung der Logen zeigt deutlich den Unterschied zwischen dem Ideal einer Gleichheit im Zugang zur Freimaurerei und der sozialen, von Akademikern geprägten Realität in den Logen. Die Brüderlichkeit drückt ein Gleichheitsideal aus, das exklusiv auf den Binnenraum der Loge eingeschränkt ist. Die universalistische Parole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, die man als eine Art Grundbekenntnis in den Logen des 19. Jahrhunderts findet, ist erst durch die Französische Revolution eingebracht worden.

Den Abschluss des Tages bildete eine Diskussion um Symbole der Gleichheit und Ungleichheit in den freimaurerischen Ritualen und Traditionen. Ein erster Blick zeigte schon, dass Symbole der Ungleichheit in der Überzahl sind: das Gradsystem und die Funktionselite der Logenbeamten (die beide zu einer Hierarchisierung innerhalb der Loge führen), die Positionierung des Meisters vom Stuhl im meist auch baulich abgegrenzten symbolischen (und mit Heiligkeit assoziierten) Osten der Loge, die Unterscheidung zwischen Mitgliedern und den als Profane bezeichneten Außenstehenden, die Geheimhaltung der freimaurerischen Rituale gegenüber Außenstehenden wie auch des spezifischen Gradwissens gegenüber allen Mitgliedern, die diesen Grad noch nicht erlangt haben, die formellen und zuweilen für einen Außenstehenden fast schon lächerlich wirkenden Anreden der Logen- und mehr noch der Großlogenbeamten – diese Liste könnte beliebig fortgesetzt werden. Symbole der Gleichheit zu finden, ist deutlich schwieriger: Die berühmtesten dürften die Setz- oder Wasserwaage und die Bruderkette sein. Vielleicht bestätigt diese Asymmetrie die These, dass der Gleichheitsbegriff erst zu einer Zeit einen Weg in die Freimaurerei gefunden hat, als die rituelle Traditionsbildung weitestgehend abgeschlossen war. Umso verwirrender ist, dass die wenigen Gleichheitssymbole – das ist insbesondere an der Bruderkette erkennbar – sich ausschließlich auf den Binnenraum der Loge bzw. der Bruderschaft beziehen, wodurch eine universelle Gültigkeit eines normativen Gleichheitsbegriffen verneint wird. Das schließt natürlich nicht aus, dass freimaurerisch arbeitende Frauen und Männer gleichwohl ihre Gleichheitserfahrung aus dem Binnenraum der Loge in die Welt tragen und darin sogar jene in manchen Ritualen geforderte Bewähung als Freimaurer einlösen wollen.

 

Geschichten zu Freimaurerpersönlichkeiten – das neue Buch von Dieter Ney

Der Vorstandsvorsitzende der Akademie forum masonicum e.V. Dieter Ney hat im Grazer Verlag edition keiper ein neues Buch publiziert. Unter dem Titel „Müssen Freimaurer Vampire jagen? Wahre Geschichten zu Freimaurerpersönlichkeiten“ erzählt der Autor von faszinierenden Menschen, die Mitglieder von Freimaurerlogen waren.

Dieses Buch widmet sich nicht der Freimaurerei auch wenn von ihr unvermeidlich die Rede ist , es widmet sich Freimaurern, von denen es sich zu erzählen lohnt: gescheiterten, erfolgreichen, vorbildlichen, sich empörenden und Reformern. Es handelt u. a. vom jüdischen Unternehmer Theodor Tobler, von seiner berühmten Schokolade, aber auch von seinem Engagement in einem Prozess, in dem es um das verschwörungstheoretische Pamphlet der Protokolle der Weisen von Zion ging, und vom Pazifisten Henri La Fontaine, der von der Idee überzeugt war, dass das Zugänglichmachen des Weltwissens dem Weltfrieden förderlich sein wird, und eine Art Zettelkasten-Google erschaffen hat. Es erzählt die abenteuerliche Geschichte des Chevalier d Éon, eines Spions im Dienste des französischen Königs, der weite Teile seines Lebens als Frau lebte, und von Schriftstellern wie Eduard Douwes Dekker alias Multatuli, dessen antikolonialistischer Roman »Max Havelaar« als wichtigster der niederländischen Sprache gilt, oder Felix Salten, der tragischerweise von seinen beiden größten literarischen Erfolgen (»Bambi, eine Geschichte aus dem Walde« und »Josefine Mutzenbacher«) finanziell nicht profitieren konnte. Es ist die Rede von so verschiedenen Medizinern wie Gerard van Swieten, dem aufgeklärten niederländischen Leibarzt von Maria-Theresia, der aufgrund seines Kampfes gegen den Aberglauben des Vampirismus unfreiwillig zum Vorbild für den Vampirjäger Abraham Van Helsing in Bram Stokers »Dracula« wurde, Joseph-Ignace Guillotin, dem Namensgeber der Guillotine, und Friedrich Küchenmeister, dem Pionier im Kampf um die Etablierung der Verbrennung als Bestattungsmethode.

Im Freimaurer-Wiki gibt es eine Rezension zu dieser Publikation und hier gibt es eine Ankündigung auf dem Freimaurerei-Blog von Philip Militz.

Das Buch ist über den Buchhandel bestellbar.

Ethik ohne Religion?

Akademietagung in Trier, Samstag, den 22. November 2008
in Zusammenarbeit mit der Freimaurerloge „Zum Verein der Menschenfreunde“

Vorträge mit anschließender Diskussion

Professor Dr. Volker Schmidt-Kohl (Fachhochschule Köln):
Vernunft – Ethik – Gutmenschen: Begründungen für moralischen Handeln

  • Zusammenfassung: Der Vortrag liegt sieben Begründungstheorien für Ethik/Moral vor: 1. autoritative Ethik aus dem Willen eines allmächtigen Gottes, 2. autonome Ethik aus der menschlichen Vernunft, 3. Historismus/Relativismus aus der Evolution der Gesellschaft, 4. Utilitarismus als geregelter, sanktionierter Eigennutz, 5. Gesinnungs- und Verantwortungsethik nach Max Weber, 6. Ethik der Kommunikation aus Kritischem Rationalismus, Hermeneutik und  Diskurstheorie, 7. Lebensethik, sie will Leben mit Zukunft und ist gesellschaftsübergreifend, kulturunabhängig und global. Sie sollten wir anstreben.

Dieter Ney (Akademie forum masonicum):
Religiöse Ethik – Bedrohung oder Bedingung des ethischen Humanismus

  • Zusammenfassung: „Religiöse Ethik – Bedrohung oder Bedingung des ethischen Humanismus?“ Lange galt die Religion als Garant für Sittlichkeit in der Gesellschaft – unter dem Vorzeichen von religiösen Fundamentalismen bekommt die Verbindung Religion – Ethik einen zunehmend als Bedrohung empfunden Charakter. Im Beitrag von Dieter Ney wurden aus religionswissenschaftlicher Perspektive Typen religiöser Moralbegründung erarbeitet und dahingehend analysiert, inwiefern diese ihren Ort finden können im ethischen Diskurs einer pluralistischen Gesellschaft. Integrationsprobleme zeigen sich dort, wo dem natürlichen moralischen Erkenntnisvermögen grundsätzlich jedes Recht bestritten wird; eine Öffnung vollzieht sich wiederum dort, wo an die Stelle statischer religiöser Vorschriften eine durch die Komplexität des Lebens notwendig gemachte Diskussion um die Auslegung eben diese Vorschriften ausgelöst wird und diese Auslegung in den Prozess des religiösen Lebens integriert wird. Zuletzt erscheint die Religion sogar in unserer Gesellschaft durch ihren historischen Einfluss auf die anerkannten Normen als Bedingung unseres Humanismus, gleichwohl um den Preis, dass die originäre Dimension des Religiösen dabei verloren geht.

Fiona Lorenz (Humanistischer Pressedienst):
Ethik ohne Gott – Wozu brauche ich einen Gott?

  • Zusammenfassung: Mehr als 100 Wochen stand Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg“ auf Platz eins der Sachbuch-Bestsellerliste und das Interesse, seine Leiden und seine Suche nach Gott auf dem Jakobsweg zu verfolgen, blieb damit über zwei Jahre auf hohem Niveau. Andererseits befand sich 22 Wochen lang „Der Gotteswahn“ von Richard Dawkins unter den ersten zehn der meistverkauften Bücher, mehrere Wochen davon direkt hinter Kerkeling auf Platz 2. Ob sich die Leser eine Orientierung in Fragen Ethik und Werte erhoffen, sei dahingestellt. Siebzig 9-86jährigen Frauen und Männern aus verschiedenen Ländern berichteten mir für mein Buchprojekt „Wozu brauche ich einen Gott!? – Gespräche mit Abtrünnigen und Ungläubigen“, wie sie zur Religion stehen, weshalb sie keinen Gott brauchen und was ihnen stattdessen Halt und Orientierung im Leben gibt.

MR Dr. Rudolf Teuwsen (Leiter des Referates „Verbindung zu den Kirchen und Glaubensgemeinschaften“ im Bundeskanzleramt ):Von der Bioethik zur Biopolitik – Normenfindung und Normenbegründung im pluralen Staat

  • Zusammenfassung: Der Erfolg als demokratischer Staat genügt nicht als alleinige Begründung der Gesetze. Religiös oder weltanschaulich begründete moralische Überzeugungen sind unverzichtbare Quellen, aus denen wir überhaupt erst die materiellen Maßstäbe zur Gestaltung unserer politischen und rechtlichen Ordnung gewinnen. Entsprechend ist das Mehrheitsprinzip notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für Rechtsnormen.“ Dies gilt insbesondere für die Bioethik, mit der sich der nationale Ethikrat der Bundesregierung beschäftigt hat. Entsprechend erarbeiteten Fachwissenschaftler zusammen mit philosophischen und religiösen Ethikern Empfehlungen für den Gesetzgeber, jedoch keine einstimmigen Gesetzesvorlagen.

Der Mensch aus der Zukunft. Konzepte des Humanismus in der Populärkultur der Science Fiction

Akademieseminar in Bonn, Samstag, den 5. Mai 2007

Was ist der Mensch in einer Umgebung, in der technische Möglichkeiten realisiert sind, deren Ansätze heute allererst angedacht sind und als prinzipielle Lösung menschlicher Probleme gelten? Wie geht der Mensch aus einer Begegnung mit dem völlig Fremden hervor? Wie transformiert sich der Begriff des Menschen und auch des Menschlichen in einer Welt, in der die Grenzen zwischen Mensch und Technologie nicht mehr zu bestimmen sind?

Vorträge mit anschließender Diskussion und Interventionen von Professor Dr. Volker Schmidt-Kohl und Professor Dr. Günter Seubold

  • Dieter Ney:
    Der schwerelose Mensch
  • Dieter Ney:
    Der befremdete Mensch
  • Dieter Ney:
    Der transformierte Mensch

Kunst des glückenden Lebens und des guten Sterbens. Transformation und Tod in der Freimaurerei

Akademieseminar in Bonn, Samstag, den 25. Juni 2011

Transformation und Tod sind Lebensthemen. Als solche haben sie einen ganz natürlichen Platz in der Freimaurerei. Die Art, in der sie in ihr angesprochen werden, ist nicht kontextfrei. Sie ist kulturell geprägt von der Entstehungszeit der Freimaurerei, sie hat sich mit der historischen Entwicklung der Maurerei transformiert und sie steht im Horizont unserer zeitgenössischen Wahrnehmungsformen. So sollen sie auch im Rahmen des Seminars der Akademie forum masonicum e.V. thematisiert werden.

Wenn man die Freimaurerei als Erziehungsprinzip liest, dann zählen die Aufklärung und die Konstruktion des guten, d.h. erfüllten Lebens zu den Rahmenbedingungen, unter denen sich die Königliche Kunst im 18. Jahrhundert entfalten konnte. Diesem Konzept widmet sich der erste Teil des Seminars. Der Tod ist eines der herausragenden Themen der Freimaurerei; als solches begleitet es den Freimaurer bis zum Meistergrad und darüber hinaus.

Im zweiten Teil des Seminars soll bewusst die zeitgenössische (populär-)kulturelle Auseinandersetzung mit dem Thema Tod als Ausgangspunkt genommen werden, um sich dem freimaurerischen Todesbild zu nähern. Die leitende These bei dieser Annäherung besteht darin, dass sich unser Bild vom Tod in den letzten 10 Jahren stark transformiert hat und damit auch seine Thematisierung in der Freimaurerei neu interpretiert werden kann. Im Unterschied zu den jährlich stattfindenden Akademietagungen soll im Seminar der gemeinsame Arbeitsprozess im Vordergrund der Veranstaltung stehen. Den Impulsreferaten der Referenten folgen gemeinsame Diskussionen.

Vorträge mit anschließender Diskussion:
  • Professor Dr. Dieter A. Binder (Universität Graz/Andrássy Universität Budapest):
    Freimaurerei oder das Konzept eines guten Lebens
  • Dieter Ney:
    Bilder des Todes in der zeitgenössischen Kultur
  • Dieter Ney:
    Das freimaurerische Bild vom Tod

Reisen im Leben, Reisen in der Freimaurerei

Akademieseminar in Bonn, Samstag, den 9. Juni 2012

Das Weggehen von der Heimat, das Reisen führt in eine andere, vielfach neue Welt, gleichgültig, ob man zum Ausgangspunkt zurückkehrt oder an einem Ziel anlangt, um dort zu verweilen. Reisen weist immer eine räumliche, eine zeitliche, eine soziale und eine kulturelle Dimension auf. Homers Odysseus, Vergils Aeneis, die Lebensreise des Christentums oder des Islams, die Reise der Nibelungen in den Osten, die Pilger und Kreuzfahrer des Mittelalters, Marco Polos und der Entdecker Reisen, Swifts Gulliver, Humboldts Forschungsreisen, Goethes Italienreise, Heinrich Heines Weg durch den Harz, Jules Vernes Reisen um die Welt oder zum Mittelpunkt der Erde, Hermann Hesses Fahrten in den Süden oder nach Indien, Max Frischs Homo Faber legen davon ebenso Zeugnis ab wie die adeligen Kavalierstouren, die bürgerlichen Bildungsreisen, die Schweizerreisen als inneralpine Verknappung dieses Anspruchs, die Gesellenreisen der Handwerksburschen, die „Fahrten“ der Jugendbewegung oder der „Urlaub“ als begrenzter Austritt aus dem Alltag.

Das freimaurerische Ritual knüpft an diese Tradition an; in allen Gradwechselarbeiten (Aufnahme des Lehrlings, Beförderung des Lehrlings zum Gesellen, Erhebung in den Meistergrad) spielen symbolische Reisen eine zentrale Rolle. In ihnen geht es um die Überwindung des Alten, um reif für das Neue zu werden. Auf ihnen wird der Kandidat mit typisierten Gefahren des Lebens konfrontiert, Prüfungen ausgesetzt. Sie sind ein Zugang zur Selbstfindung, zum Gruppenerlebnis; sie öffnen den Weg zum Fremden und zum Neuen – letztlich wollen sie nicht nur die Perspektive des Reisenden auf das Leben, sondern sogar seine Identität selbst verändern.

Im diesjährigen Seminar der Akademie forum masonicum soll das Thema Reisen sowohl aus kulturwissenschaftlicher wie aus freimaurerischer Perspektive beleuchtet werden. Im Beitrag des Grazer Historikers Professor Dr. Dieter Binder werden die symbolischen Reisen der Freimaurerei dabei im Horizont des Reisebegriffs zur Zeit der Entstehung der Freimaurerei betrachtet; im Beitrag des Bonner Philosophen und Freimaurers Dieter Ney werden die Ergebnisse aktuellen kulturwissenschaftlichen Nachdenkens über den Begriff der Reise vermittelt, aber auch Deutungsmöglichkeiten für das Symbol der Reise in der Freimaurerei.

Vorträge mit anschließender Diskussion:

  • Professor Dr. Dieter A. Binder (Universität Graz/Andrássy Universität Budapest):
    … und nur im Reisen liegt der Sinn
  • Dieter Ney (Bonn):
    Ein kulturgeschichtlicher Blick auf das Reisen
  • Dieter Ney (Bonn):
    Unbeirrt vom Lärm der Welt geht der Maurer seinen Weg …

Arbeit an sich selbst. Der freimaurerische Anspruch der Selbstvervollkommnung

Akademieseminar in Bonn, Samstag, den 27.4.2013

In der freimaurerischen Literatur findet man oft den Anspruch der Selbstvervollkommnung formuliert. Dieser Begriff der Selbstvervollkommnung kommt uns heute überzogen vor, selbst wenn er im Sinne eines ideelen Zieles verstanden wird, dem man sich als Freimaurer anzunähern versucht; moderner formuliert könnte man von einem freimaurerischen Programm der Selbst- bzw. Persönlichkeitsentwicklung sprechen. Der Freimaurer und Autor Philip Militz versteht die Freimaurerei vor diesem Hintergrund gar als „das erfolgreichste Persönlichkeitstraining der Weltgeschichte“ (Philip Militz, Freimaurer in 60 Minuten, Thiele-Verlag: München/Wien 2012).

Im Symbol des rauen Steines wird dieser Anspruch symbologisch weitergeführt: Der Freimaurer verwandelt sein Selbst im Prozess der freimaurerischen Arbeit und dieser Wandel wird verstanden als ein solcher vom rauen zum kubischen Stein. Die kubische Form steht sowohl für geometrische Vollkommenheit wie auch für die Voraussetzung, den Stein als Baustein in ein Bauwerk einfügen zu können. Dieses „Bauwerk“ wird freimaurerisch als „Tempel der Humanität“ bestimmt, womit die freimaurerische Arbeit am Selbst nicht mehr nur den Charakter einer Selbstfindung bzw. -bildung hat, sondern auf ein gesellschaftliches Ziel bezogen wird, nämlich das der Beförderung und Durchsetzung humanitärer Grundsätze.

Das Seminar der Akademie forum masonicum wird sich kritisch mit dem freimaurerischen Begriff der Selbstvervollkommnung auseinandersetzen. Die beiden Referenten, Professor Dr. Dieter Binder (Graz/Budapest) und der Freimaurer Dieter Ney, werden sich dem Thema in ihren Vorträgen auf sehr unterschiedliche Weise annähern, Dieter Binder als Historiker, der sich mit autobiographischen Zeugnissen von Freimaurern auseinandersetzt, Dieter Ney als Kulturwissenschaftler, der sich dem kulturellen Konzept der Selbstentwicklung widmen wird.

Vorträge mit anschließender Diskussion:

  • Professor Dr. Dieter A. Binder (Universität Graz/Andrássy Universität Budapest):
    Initiation und Persönlichkeit. – zwischen Anspruch und Vermutung
  • Dieter Ney (Bonn):
    Kulturgeschichte der Selbstbildung
  • Dieter Ney (Bonn):
    Selbstentwicklung im heterogenen sozialen Raum – Versuch über das freimaurerische Bildungskonzept

Geheimnis und Transparenz. Eine Dialektik in Kultur und Freimaurerei

Akademieseminar in Bonn, Samstag, den 24.5.2014

Die Freimaurerei gilt im Allgemeinen als eine Geheim-gesellschaft, und dies, obwohl ihre Rituale in Geschichte und Gegenwart immer wieder ausgeplaudert wurden, heute schon fast jede Loge ihre eigenen Internetseiten hat, die Logen mehr und mehr ihre sozialen Aktivitäten nach außen dokumentieren und immer mehr Brüder und Schwestern ihre Mitgliedschaft in der Öffentlichkeit bekanntmachen.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen hat Dieter Binder in seinem Buch „Die diskrete Gesellschaft“ den belasteten Begriff „Geheimnis“ treffend im Sinne von Diskretion umgedeutet. Bei aller Öffnung gilt auch heute noch weithin als Konsens, dass sowohl über die Mitgliedschaft, die internen Angelegenheiten als auch über die rituellen Abläufe gegenüber der Öffentlichkeit geschwiegen wird.

Die beiden ersten Aspekte können im Sinne von Dieter Binder als Diskretion verstanden werden, wohingegen die Verschwiegenheit in Bezug auf die Rituale vorder-gründig an die so genannte Arkandisziplin der antiken Mysterienreligionen erinnert, einer förmlichen Ver-pflichtung des in ein religiöses Geheimnis Einge-weihten, die Abläufe eben dieser Einweihung geheim zu halten. Da die Freimaurerei aber in ihrem Selbstver-ständnis keine Religion ist, kann die Ver-schwiegenheit in Bezug auf die rituellen Abläufe nicht mit der besonderen religiösen metaphysischen Würde, ihrer Heiligkeit, begründet werden.

Das diesjährige Seminar widmet sich der Dialektik von Geheimnis und Transparenz sowohl in der Freimaurerei wie auch allgemein in der Kulturgeschichte. Besonderes Augenmerk gilt dabei einem Verständnis von Ge-heimnis, das sich nicht religiös begründet. Des Weiteren soll auch thematisiert werden, inwiefern das Geheimnis auch immer im Zusammenhang mit seinem vorder-gründigen Gegenteil steht, nämlich mit sozialen Praktiken der Transparenz, wenn zum Beispiel in einer Freimaurerloge die Diskretion über Interna nach außen sichergestellt ist, dann ermöglicht die Loge einen Vertrauensraum, in dem sich die Mitglieder auch zu Themen verständigen können, die in anderen Kommu-nikationssituationen aus verschiedendsten Gründen gemieden werden.

Vorträge mit anschließender Diskussion:

  • Professor Dr. Dieter A. Binder (Universität Graz/Andrássy Universität Budapest):
    Die Wohltat der Verschwiegenheit. Vom Sinn des Arkanums in der Mediengesellschaft
  • Dieter Ney (Bonn):
    Geheimnis und Transparenz. Die kulturgeschichtliche Dimension eines Widerstreits
  • Dieter Ney (Bonn):
    Geheimnis und Transparenz in der Freimaurerei

Das Politische in einer unpolitischen Gemeinschaft. Eine schillernde Ambivalenz in der Freimaurerei

Akademieseminar in Bonn, Samstag, den 9.5.2015

„Wir wenden uns entschieden gegen alle politischen Auseinandersetzungen, die noch niemals zum Wohle der Loge beigetragen haben und es auch niemals tun werden“, so steht es in den so genannten Alten Pflichten von James Anderson aus dem Jahr 1723, die so etwas wie die Gründungskonstitution der traditionellen Freimaurerei darstellen. So sehr auf diesem Grundsatz institutionell innerhalb der „regulären“ Freimaurerei beharrt wird, so sehr war und ist er unter Freimaurern umstritten. Diese Ambivalenz im Umgang mit dem Politischen in der Freimaurerei begründet sich unter anderem darin, dass die Mitglieder einerseits unter spezifisch freimaurerischen moralischen Ansprüchen stehen, die stark von der Aufklärung geprägt sind, andererseits die Ablehnung von politischen Diskursen innerhalb der Logen ihre historische Begründung erhielt aus den ganz praktischen und desaströsen Erfahrungen, die die Zivilgesellschaft mit politischen wie auch religiösen Konflikten im England des 17. Jahrhunderts machte.

Den einen galt dieses Verbot politischer Diskussionen als ein pragmatisches Gebot, um Konflikte innerhalb der Loge, mit der Gesellschaft und der Regierung zu vermeiden, da sie den Bestand der Logen bedrohten und die innere Harmonie der Gruppe nachhaltig störten, den anderen galt das Gebot als absurde Forderung nach einem aseptischen Reinraum, der sowohl der menschlichen Erfahrung wie auch den moralischen Ansprüchen der Freimaurerei widersprach.

In der Geschichte der Freimaurerei spiegelt sich diese Ambivalenz. Sie zeigt sich dabei durchaus nicht nur an der Scheidelinie zwischen der „regulären“ und „irregulären“, zwischen der esoterischen und der laizistischen oder zwischen der englischen und romanischen Freimaurerei.

Das diesjährige Seminar der Akademie widmet sich dem Thema des Politischen in der Freimaurerei durch eine doppelte Perspektive: 1. in der Perspektive der longue durée, d.h. mit Hilfe einer geschichtswissenschaftlichen Methode, die weniger die exponierten Einzelereignisse betrachtet als vielmehr langfristigen Mentalitäts-änderungen nachspürt, und 2. durch Betrachtung der politischen Haltung individueller Freimaurer, die eingebettet waren in politische Bewegungen, die sich implizit oder explizit auf freimaurerische Werte bezogen

Vorträge mit anschließender Diskussion:

  • Professor Dr. Dieter A. Binder (Universität Graz/Andrássy Universität Budapest):
    Die Alten Pflichten: Falsch verstanden oder stets gebrochen?
  • Podiumsgespräch mit Professor Dr. Dieter A. Binder (Graz) und Dieter Ney (Bonn):
    Vom freimaurerischen Umgang mit der Tabuisierung des Politischen. Zwischen einem quasi-imperialen Anspruch der United Grandlodge of England und dem politischen Postulat der Freimaurerei in den romanischen Ländern
  • Dieter Ney (Bonn):
    Pazifisten, Krematisten, Republikaner, Laizisten. Politische Grenzgänger in der Freimaurerei am Beispiel einiger Freimaurerpersönlichkeiten

Ich und der Rest der Welt – Konflikte zwischen Gemeinwohl und individuellen Interessen

Akademietagung in Mannheim, Samstag, den 2. November 2013
in Zusammenarbeit mit der Loge „Zur Sonne im rechten Winkel“

Zum Thema

Dass der moderne Mensch sich als Ich und als soziales Wesen versteht, dürfte bei allen Unterschieden in der individuellen Schwerpunktsetzung als allgemein anerkannt gelten. Doch ein ausgeglichenes Verhältnis eben zwischen dem Ich und seinem sozialen Gegenüber ist damit längst nicht gesichert, sondern muss immer wieder neu errungen werden – dies zu erkennen, bedarf es keiner Finanz-, Schulden- oder Wirtschaftskrisen.

Und wenn der Sozialphilosoph Ferdinand Tönnies am Ende des 19. Jahrhunderts die Unterscheidung zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft einführt und als das unterscheidende Kriterium zwischen beiden formuliert, ob die Einzelnen sich als Mittel zur Erreichung eines übergeordneten Zieles des Kollektivs verstehen („Gemeinschaft“) oder eben die Anderen als Mittel zur Erreichung der eigenen Ziele („Gesellschaft“), dann klingt die Unterscheidung durchaus plausibel. Aber ist es wirklich so, dass wir uns als individuelles Ich gegenüber dem Kollektiv entweder „gemeinschaftlich“ oder „gesellschaftlich“ verhalten? Schließt das Eine das Andere aus? Ist die Haltung gegenüber dem Kollektiv Ergebnis einer individuellen Entscheidung oder Ergebnis einer uns vorgegebenen kulturellen Prägung?

Wie wenig diese Fragen einfach beantwortet werden können, zeigt sich dann, wenn man sie in den Kontext konkreter Situationen stellt. Soll ein solidarisch finanziertes Gesundheitssystem jede Therapie finan-zieren, ohne Rücksichtnahme auf die entstehenden Kosten oder die Langfristigkeit ihrer Effekte? Wie weit sind Maßnahmen zur Sicherung der öffentlichen Ordnung zu akzeptieren, wenn sie die individuellen Persönlichkeitsrechte einschränkend berühren? Welche Position soll man beziehen, wenn die Befürworter einer Share-Economy auf Vertreter einer klassischen Marktwirtschaft treffen und in Streit über die Frage geraten, ob Produkte, die sich „gemeinschaftlicher“ Produktion verdanken, eigentumsrechtlich exklusiv beansprucht und privatwirtschaftlich vermarktet werden dürfen?

Die diesjährige Tagung der Akademie forum masonicum will sich diesen Fragestellungen in Orientierung an drei konkreten Konfliktfeldern widmen, dem Gesundheits-wesen, dem öffentlichen Raum und der Wirtschaft. Wohl wissend, dass schon in diesen genannten und sehr konkreten Bereichen möglicherweise keine endgültigen Positionen möglich sind, möchte sie zumindest das Bewusstsein um die Komplexität der Fragestellungen schärfen.

Programm

10:00 Uhr
Grußwort des Stuhlmeisters der Loge „Zur Sonne im rechten Winkel“ Frank Klarner
Begrüßung durch den Vorstandsvorsitzenden der Akademie forum masonicum Dieter Ney

10:30 Uhr
Ein Rest von Ich – Die Pazifizierung des öffentlichen Raums
Vortrag von Dipl. Pol. Volker Eick (Berlin) und anschließende Diskussion

gegen 12:15 Mittagspause

14:00 Uhr
Gerechtigkeit im Gesundheitswesen – ethische Zugänge
Vortrag von Professor Dr. Dietmar Hübner (Hannover) und anschließende Diskussion

15:30 Uhr
Commons, Allmende und Share-Economy – die Wiederkehr der Gemeingüter
Vortrag von Dieter Ney (Bonn) und anschließende Diskussion

Die Referenten

Dipl. Pol. Volker Eick
ist Politikwissenschaftler und forschte zunächst im Sonderforschungsbereich 597 „Staatlichkeit im Wandel“ in Bremen, dann am John F. Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin und widmet sich aktuell an der Humbold-Universität Berlin u.a. Themen der Sicherheitspolitik.

Professor Dr. Dietmar Hübner
ist Physiker und Philosoph und lehrt an der Leibniz-Universität Hannover am Lehrstuhl für Praktische Philosophie insbesondere der Ethik der Wissenschaften. In seiner Habilitation aus dem Jahr 2007 (Bilder der Gerechtigkeit. Zur Metaphorik des Verteilens) befasste er sich mit Fragen der Verteilungsgerechtigkeit.

Dieter L. Ney, M.A.
ist Philosoph und Religionswissenschaftler. Er ist Vorsitzender des Vorstandes der Akademie forum maso-nicum e.V. und seit 2006 Herausgeber ihres Jahrbuches.

Praktische Informationen
Veranstaltungsort: Logenhaus, Tullastr. 16, 68161 Mannheim

Flyer zur Jahrestagung 2013