Akademietagung in Freiburg im Breisgau, Samstag, den 3. November 2007
in Zusammenarbeit mit der Loge „Zur edlen Aussicht“
Vorträge mit anschließender Diskussion:
Doz. Mag. Heidemarie Uhl (Österreichische Akademie der Wissenschaften):
Erinnerungskultur – Geschichtspolitik. Einige Überlegungen zu Gedächtnis und Gesellschaft
- Zusammenfassung: Woher gewinnen die Menschen Orientierungswissen in einer von Komplexität geprägten Gegenwart? Im gegenwärtigen „postideologischen“ Zeitalter haben die politischen Ideologien an Kompetenz für die Generierung von Orientierungswissen und können nicht mehr durch das Versprechen einer bessern Zukunft, von Fortschritt und Aufstieg – das dem Verständnis von Moderne inhärent ist – die sozialen Energien von Gesellschaften motivieren. Die Erschöpfung der utopischen Energien der Moderne geht einher mit der Karriere von „Gedächtnis“ als Leitbegriff eines neuen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Interesses an der Vergangenheit. In der historischen Imagination können klare Grenzen zwischen „Gut“ und „Böse“, zwischen Tätern und Opfern gezogen werden. Die Haltung zur Vergangenheit wird zu einer Frage, die noch „ideologische“ Trennschärfen zwischen „rechts“ und „inks“ erlaubt – eine Trennschärfe die etwa im Bereich des Sozialen oder der Ökonomie schon längst aufgeweicht ist. Der Umgang mit der Vergangenheit ist im ausgehenden 20. jahrhundert zu jenem Ort geworden, an dem sich Gesellschaften ihrer Werte und Normen versichern können.
PD Dr. Helmut Zander (Humboldt Universität Berlin):
Vom Nutzen und Nachteil der Pluralität für das Leben. Holistische Konzepte als Antwort auf den Historismus
- Zusammenfassung: Im 19. Jahrhundert wird Europa von einem intellektuellen Erdbeben erschüttert: dem Historismus. Durch die dramatisch anwachsende Präsenz „fremder“ Kulturen – zuerst antiker europäischer und zunehmend außereuropäischer Kulturen – erodiert die fast autistische Selbstverständlichkeit, in Europa den Mittelpunkt historischer Entwicklungen zu sehen. Zu dem Historismus-Syndrom gehört zudem die historisch-kritische Analyse der europäischen „Urkunden“, die die Stabilität „heiliger“ Grundtexte wie der Bibel unterminiert. Diese Mischung führt zum Historismus als fundamentaler Krise – so jedenfalls die Wahrnehmung der Zeitgenossen um 1900. Eine der Reaktionen auf diesen Historismus bilden holistische Weltdeutungsmuster. Holistische Konzepte sind, namentlich wo sie szientistisch argumentieren, historisch gesehen junge Reaktionsmuster der europäischen Kultur. Dies werde ich am Beispiel der theosophischen/anthroposophischen Bewegung zeigen, die einen spezifischen Reaktionstyp auf den Historismus bildet und eine Art „Blaupause“ für aktuelle holistische Bewegungen ist.
Professor Dr. Martin Wilmers (Rheinische Fachhochschule Köln):
Alles Darwin oder was? Der Glaube an den alles erklärenden Zufall
- Zusammenfassung: Da die Naturgesetze prinzipiell nicht beweisbar sind, beruht die naturwissenschaftliche Welterklärung auf einem Glauben, nämlich dem, dass jene räumlich und zeitlich universell gelten. Nachdem das Modell der Welt als mechanisch kausal ablaufendes Uhrwerk widerlegt wurde, hat der Zufall die Rolle des Verursachers jeglicher Entwicklung übernommen. Alle Formen der Natur und der Kultur bis hin zu religiösen Vorstellungen sind ein Ergebnis der Evolution in einem Wechselspiel aus zufälligen Modifikationen und der Überprüfung ihrer Eignung für das Fortbestehen, ihr „Angepasst Sein“ an ihre jeweilige Umwelt. Neuere Forschungen beweisen, dass nicht der Kampf gegeneinander sondern die Kooperation dabei die erfolgreichste Strategie ist.
Frauke Zahradnik (Parapsychologische Beratungsstelle Freiburg der Wissenschaftlichen Gesellschaft zur Förderung der Parapsychologie e.V.):
Wieviel Wirklichkeit erträgt der Mensch? Der psychische Umgang mit Komplexität
- Zusammenfassung: Die zunehmende Komplexität der Welt stellt nicht nur den Einzelnen vor neue Herausforderungen, wie erhöhte psychische Flexibilität, die Orientierung nach eigenen Werten, etc., sondern stellt auch ein Angebotssegment auf dem Markt der Sinnanbieter dar, die sich auf den Verkauf von Welterklärungsmodellen und Komplexitätsreduktion spezialisiert haben. Nur zum Teil sind diese angebotenen Modelle hilfreich. Auch für versierte Benutzer von Informationssystemen wird die Suche und der Zugriff auf relevante Daten und Informationen immer schwieriger, da die Menge an Daten, Wissen und Informationen exponentiell anwächst. Gleichzeitig können durch die Verfügbarkeit schneller, digitaler Netzwerke mehr Wissensquellen denn je zugänglich gemacht werden. Neben diesen äußeren Dimensionen der Komplexität spielt unsere Psyche eine entscheidende Rolle. Anhand einiger Beispiele möchte ich zeigen, welche Folgen die Angst vor dem Kontrollverlust (Rotter) hat und welche Strategien der Mensch benutzt um kognitive Dissonanzen (Festinger) zu reduzieren. Einkleidungen von Erlebnissen in – zum Teil abstruse Erklärungsmodelle – sind nicht so sehr irrational, vielmehr zeigen sie den Versuch, Unbegreifliches in den Griff zu bekommen („Bannen durch Benennen“). Durch verschiedene Mechanismen gelingt es unserem Gehirn, komplexe Situationen so weit zur reduzieren, dass auch undurchschaubare Situationen bewältigt werden können. Da die Aufnahmekapazität des Gehirns physiologisch begrenzt ist (7+/-2 Chunks), muss der aufgenommene Inhalt durch Erfahrung, Wissen und Einsicht strukturiert werden. Dies gelingt allerdings nicht jedem Menschen gleich gut. Während Menschen, die weitestgehend internal attribuieren weniger anfällig sind, sich von der Komplexität der Welt ihren Handlungsspielraum einengen zu lassen, neigen Menschen, die eher externalisieren dazu, die Vorstellung zu haben „nur ein kleines Rädchen im Getriebe der Welt zu sein“ und letztendlich überhaupt keinen gestalterischen Einfluss auf ihr Leben und ihre Umgebung zu haben. Diese Menschen greifen nicht selten auf Verschwörungstheorien zurück, deren übersichtliche, reduktionistische und monokausale Erklärungsmuster, die unübersichtliche Zusammenhänge auf Einzelursachen zurückführen, attraktiv erscheinen. Es gibt allerdings auch erfolgreichere Strategien um die Welt in ihrer Komplexität zu beschreiben. Die Theorie dynamischer Systeme gehört ebenso dazu wie die Beschreibung selbstorganisierender Teilsysteme die von einer höheren Ebene wiederum als Einheit dargestellt werden können. So wird Komplexität reduziert, ohne, dass man einen Fehler macht. Auf diese Verfahren, die allerdings auch ihren Preis haben, soll ausführlich eingegangen werden.