Anti-Judaismus, Anti-Semitismus, Anti-Zionismus, Anti-Israelismus. Vier Worte – ein Unrecht.

Akademietagung in Köln, Samstag, den 22. Oktober 2005
in Zusammenarbeit mit der Freimaurerloge „Albertus Magnus“

Vorträge mit anschließender Diskussion

Katja Kriener:
Anti-Judaismus – ein altes Phänomen – noch wirksam oder überwunden?

  • Zusammenfassung: Durch die Geschichte der Beziehungen zwischen Kirche und Synagoge zieht sich wie ein roter Faden ein religiös geprägter Antijudaismus. Von den Kirchenvätern über Martin Luther bis in die jüngere Kirchengeschichte des letzen Jahrhunderts hinein sind Modelle judenfeindlicher Verhältnisbestimmung zwischen Kirche und Synagoge vorherrschend, was nicht zuletzt in den Darstellungen kirchliche Kunst seinen Niederschlag gefunden hat.  Erst das Erschrecken über die Zusammenhänge von religiöser Diffamierung, die über soziale Ächtung bis hin zur physischen Vernichtung des jüdischen Volkes geführt hat, hat in den Kirchen zu einem Umdenken geführt, dass die Erneuerung der Verhältnisbestimmung von Kirche und jüdischem Volk und jüdischem Glauben heute neu bestimmt.

Professor Dr. Wolfgang Benz (Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin):
Anti-Semitismus

  • Zusammenfassung: Auseinandersetzung mit der jüdischen Minderheit begriffen und agiert. Dabei spielten soziale und wirtschaftliche Motive eine beträchtliche Rolle. „Überfremdung“ und „Verjudung“ sind Stichworte der Auseinandersetzung in diesem Zusammenhang. Intellektueller Höhepunkt der Auseinandersetzung war der Berliner Antisemitismusstreit, ausgelöst durch einen Artikel Heinrich von Treitschkes in den „Preußischen Jahrbüchern In Deutschland wurden die Mode gewordenen Rassetheorien fast ausschließlich als“ im November 1879. Der angesehene Historiker hatte sich gegen die von ihm befürchtete Masseneinwanderung osteuropäischer Juden ausgesprochen; er prägte auch das Schlagwort, das noch Jahrzehnte nach seinem Tod Judenfeindschaft in eine Formel brachte: „Bis in die Kreise der höchsten Bildung hinauf, unter Männern, die jeden Gedanken kirchlicher Unduldsamkeit oder nationalen Hochmuths mit Abscheu von sich weisen würden, ertönt es heute wie aus einem Munde: die Juden sind unser Unglück!“ Mit dem Vorstoß Treitschkes drohte der Antisemitismus die Berliner Universität zu erobern. Dieser Gefahr stellten sich im Sinne der Erklärung Juden und Nichtjuden entgegen, unter ihnen bekannte Rabbiner, die nationalliberalen Politiker Ludwig Bamberger und Heinrich Bernhard Oppenheim. Der Höhepunkt des Antisemitismusstreits war erreicht, als Theodor Mommsen in den Streit eingriff und Ende 1880 seine Schrift „Auch ein Wort über unser Judenthum“ veröffentlichte, in der er scharf gegen Treitschke Stellung bezog und sich dagegen verwahrte, dass Juden als „Mitbürger zweiter Klasse betrachtet, gleichsam als besserungsfähige Strafcompagnie“ rechtlich gestellt sein dürften. Zu fragen bleibt, wie radikal die Postulate der bildungsbürgerlichen Rassisten des 19. Jahrhunderts im Vergleich zu denen der pöbelhaften Nationalsozialisten waren. Tatsächlich, das zeigt die Analyse der älteren Texte, waren die Vernichtungsphantasien im 19. Jahrhundert schon vorhanden, allerdings verborgen unter abstrakten Formulierungen: „Unschädlichmachung“, „Entjudung“, „Entfernung“, „Ausmerzung“ sind Begriffe aus der antisemitischen Literatur des 19. Jahrhunderts. Dühring, einer der Ideengeber Hitlers, schreibt „Die Judenhaftigkeit läßt sich aber nicht anders als mit den Juden beseitigen.“ Aber erst die Nationalsozialisten nahmen die Anregungen der frühen antisemitischen Ideologen auf, sie setzten die von Antisemiten im 19. Jahrhundert aufgestellten Postulate der Diskriminierung und Ausgrenzung in Taten um. Der Höhepunkt der judenfeindlichen Ideologieproduktion, die zugleich als Aufbäumen gegen die Modernisierung von Staat und Gesellschaft zu verstehen ist und „die Juden“ als Inkarnation alles Bedrohlichen und zur Erklärung aller Weltübel instrumentalisierte, lag im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Die Wirkung erfolgte später. Mit den akademisch oder pöbelhaft, demagogisch oder wissenschaftlich auftretenden Schmähschriften der Inkubationszeit der neuen, rassistisch argumentierenden Judenfeindschaft war der Grund gelegt für die Agitation der Antisemiten nach dem Ersten Weltkrieg, die nach dem Aufstieg der NSDAP im Völkermord endete.

Dr. Reiner Bernstein:
Zionismus, Antizionismus, Antisemitismus und der Staat Israel

  • Zusammenfassung: An der Frühgeschichte der zionistischen Bewegung seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert schieden sich die jüdischen Auffassungen mehr als die nichtjüdischen Geister. Während letztere die Auswanderung der Juden aus Europa aus antisemitischen Gründen wünschten, hegte die jüdische Mehrheit die Befürchtung, dass der politische Zionismus den problematischen Weg aller Nationalbewegungen gehen werde und darüber den religiösen Kern  des Judentums vernachlässige. So hat der Antizionismus einen jüdischen Ursprung. Die Shoah (Holocaust) schien die Grundthese des politischen Zionismus vom ewigen Judenhass zu bestätigen, dem nur durch die nationale „Normalisierung“ im Rahmen eines eigenen souveränen Staates der Juden beizukommen sei.  Diese Devise hat sich nicht bestätigt. Wurde der Staat Israel zum Beispiel in der  Bundesrepublik Deutschland anfangs einhellig begrüßt, auch weil er von der nationalen Verantwortung für den millionenfachen Mord ablenkte, so setzte nach dem Junikrieg 1967 eine kritische Auseinandersetzung mit dem Gang der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern in den eroberten Gebieten der Westbank und des Gazastreifens ein. Je offenkundiger das hässliche Gesicht der Besatzung in Erscheinung trat,  desto unverhüllter machte sich in deutschen Diskussionen ein Amalgam aus politischem Antizionismus und unterschwelligem Antisemitismus bemerkbar.  Es belastet auch die Beziehungen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen in erheblichem Maße, weil die Mehrheit der deutschen Juden die Auswanderung nach  Israel als Rettungsanker für den Fall eines unerträglichen Antisemitismus sieht. Diese Zusammenhänge würdigend, müssen in deutschen Diskussionen zumindest zwei Desiderata im Vordergrund stehen: Zum einen die Abwehr offener oder verdeckter  antijüdischer Ressentiments in Deutschland sowie bei Diskussionen um den Nahen Osten, zum anderen die Stärkung jener Kräfte in der Region, die den Konflikt zwischen Israelis und  Palästinensern für beide Völker für verhängnisvoll halten und für Auswege kämpfen.